Teil 20 des Leichtathletik-Countdowns: Die ursprünglichen Hohenhorst-Pläne

Atemberaubend und utopisch

Vest, 29.06.2008, Andreas Rorowski
 
 
Aus der Luft betrachtet sieht es aus wie eine überdimensionierte Schüssel im Niemandsland. Reingesetzt auf weiter Flur, nach Westen später angereichert mit allerlei Gewerbegebäuden wirkt das Stadion Hohenhorst wie ein Fixstern ohne wirkliche Satelliten.
 
Recklinghausen. Alt- und Südstadt, die beiden Antipoden Recklinghausens, sollte es ursprünglich verbinden. Es war Teil eines großen Wurfs, den die Kreisstadt Anfang der 1970er Jahre ersonnen hat. „Die Zeiten waren damals so, man hat groß gedacht und groß geplant”, erinnert sich Hans-Joachim Thielcke. Es ist der Mann, der gemeinsam mit Heinz Burmann das größte und modernste Stadion des Kreises entworfen hat. Und noch viel mehr. Als der mittlerweile 83-jährige Architekt wie beiläufig die Pläne von damals zeigt, stockt mir der Atem. Mit Spiel- und Freizeitstätte Hohenhorst ist das Konzept betitelt, in das auch die Landschaftsarchitektin Helga Rosa-Herzmann (Essen) eingebunden war. Es zeigt nicht nur das Stadion mit einer Kapazität von 25 000 Zuschauern und die ebenfalls gebauten Trainingsflächen, sondern viel, viel mehr.

Westlich, wo jetzt Gewerbebetriebe stehen, erstreckt sich ein weitläufiger Freizeitbereich, eine Tennis- und eine Schießanlage, südlich Richtung Wald ein künstlicher Stadion-See mit Planschbereich, nördlich Hallenbauten und Verwaltungsgebäude sowie eine Aussichtsplattform und östlich große Parkplätze. Und damit war noch nicht Schluss. Zum Konzept gehörte auch im Osten jenseits der Bahnlinie Recklinghausen - Essen, die großzügig untertunnelt werden sollte, ein Jugendzentrum, eine Rollschuh- und Eislaufbahn samt Minigolfanlage nahe der Vestlandhalle, das um ein Freibad erweiterte Hallenbad an der Herner Straße und eine große Freizeit- und Sportfläche. Atemberaubend, städtebaulich ambitioniert. Und utopisch.

Denn den großen Wurf zu realisieren, der damals mit heute lächerlich anmutenden 35 Millionen D-Mark veranschlagt wurde, kam wohl nie ernsthaft in Betracht. Womit sich die Frage von selbst beanwortet, warum das Stadion von den Recklinghäusern nie wirklich angenommen wurde. Es ist nur ein Teil der großen Idee, die integrativ hätte wirken können. Die Mitte als Anlaufstelle für die Menschen aus Nord und Süd, für Sport und Freizeit. Ein einfacher und zugleich bestechender Gedanke, der nie realisiert wurde. Hohenhorst ist heute nicht Fisch und nicht Fleisch. Sehr zum Leidwesen auch des 1. FC Recklinghausen sowie dessen Nachfolgeklubs FC 96, deren große Ziele nicht zuletzt an der mangelnden Zuschauerresonanz im gefühlten Niemandsland scheiterten.

Warum nur dieser Standort? Er war groß genug, um die Ideen des damaligen Zeitgeists zu befriedigen. Und er schien gut genug, um die zu kleine Viktoria-Kampfbahn des SC Recklinghausen, der mit dem SV Eintracht zum 1. FC fusionierte, abzulösen. Als die Knappschaft das Viktoria-Gelände erwarb und ein Krankenhaus darauf bauen wollte, schrieb die Stadt Anfang 1971 einen Ideenwettbewerb aus: die Spiel- und Freizeitstätte Hohenhorst.

„Damals redeten viele vom Bundesliga-Fußball in Recklinghausen, wenn erst nur das Stadion fertig werden würde”, erinnert sich Hans-Joachim Thielcke. Sein Büro gewann den mit 10 000 Mark dotierten Wettbewerb, an dem sieben Architektenbüros teilnahmen. Schon im September 71 mussten die Pläne fertig sein. Baubeginn des Stadions war 1973, eingeweiht wurde es am 12. Juni 1977. Aus den geschätzten Baukosten von drei Millionen D-Mark waren am Ende 6,5 Millionen D-Mark geworden. Vergleichweise günstig.

Was mit der Architektenschule zu tun hat, die Hans-Joachim Thielcke erfahren hat, und seiner im besten Sinne geradlinigen Bauweise. „Als ich studierte, musste vor allem preiswert geplant werden. Bei der Bauaustellung Constructa 1951 in Hannover habe ich dazu einen treffenden Satz gehört. Das Einfache ist nicht immer gut. Aber das Beste ist immer einfach.” Wobei preiswert nicht zu verwechseln mit billig ist, sondern mit gut durchdacht. Dass die Kampfbahn des Stadions in die Erde gegraben ist, kommt nicht von Ungefähr. „Eine Erdkampfbahn war günstiger, weil der ausgehobene Sand zum Teil für die Wälle genutzt wurden und damit hochgezogene Betonbauten für die Tribünen entfielen.”

Das Stadion wie überhaupt das gesamte Konzept hatten allerdings auch ein großes Vorbild. Thielcke und Burmann hatten sich 1966 gemeinsam mit vier weiteren Büros am Wettbewerb um die Gestaltung des Olympia-Geländes in München beworben. „Es waren mehr als 100 Bewerbungen und wir kamen immerhin unter die ersten 50”, erinnert sich der Marler. Und verhehlt nicht, dass die Pläne für Hohenhorst Elemente des München-Siegers Günther Behnisch enthalten. „Kein Architekt fängt immer von vorne an.” Übernommen haben er und Heinz Burmann zum Beispiel die Idee des Erdstadions.

An ein Zeltdach wie in München war dagegen nie gedacht. Allerdings sollte sich wie in München auch beim Stadion Hohenhorst später ein Streit um das Dach entwickeln. Hans-Joachim Thielcke ist schwer enttäuscht, dass das vor Jahren renovierungsbedürftige Dach des Stadions Hohenhorst ohne Rücksprache mit ihm erneuert wurde.

„Durch das neue Blechdach ist die Architektur zerstört.” Er wirft der Stadt vor, nie seiner Mahnung gefolgt zu sein, das ursprüngliche Holzdach ständig zu pflegen. „Es gibt eine Faustformel. Zehn Prozent der Bausumme sollte jährlich für den Unterhalt eines Gebäudes ausgegeben werden.” Seinen Unmut hat er kürzlich Bürgermeister Wolfgang Pantförder geschrieben. Es tue weh, wenn am eigenen Werk herumgepfuscht werde. Zumal: „Als das Stadion fertig war, haben wir viel Anerkennung erfahren, auch von der Stadt.”