Geld verdienen nur die Top-Athleten der Leichtathletik

Der pure Enthusiasmus

Vest, 19.06.2008, Sven Krause
 
 
Recklinghausen. Top-Leichtathlet zu sein, ist ein Vollzeitjob. Zwei Trainingseinheiten am Tag sind eher die Regel, denn die Ausnahme. Dazu kommen oft zwei Wettkämpfe in der Woche. Da ist Zeit Geld.
Der Rückzug des Bayer-Konzerns aus der Leichtathletik nach den Weltmeisterschaften 2009 in Berlin und das Umstrukturieren der Gelder aus der Leichtathletik in den Fußball ist auf großer Ebene nur die Konsequenz dessen, was sich auf Kreis- und Westfalenebene längerfristig abzeichnete. Dabei ist es fast gleich, ob es um Bundesliga oder Westfalenliga geht. So kassiert ein Westfalenligaspieler rund 500 Euro im Monat Aufwandsentschädigung für drei Trainingseinheiten und rund 35 Spiele im Jahr. Eine Top-Nachwuchsathleten wie die Recklinghäuserin Christina Haack bekommt in ihrem Klub TV Gladbeck keinen Cent. Zwar übernimmt der Verein die Übernachtungskosten bei Meisterschaften oder Meetings. Ansonsten gibt es einen Zuschuss bei Trainingsbekleidung oder neuen Laufschuhen. So absolviert Haack eine Ausbildung bei der Stadt Recklinghausen und hat oft Tage, die gegen 7 Uhr anfangen und 22 Uhr enden. „Das ist stressig und natürlich stellt man sich die Frage, nach dem Warum. Da ist viel Enthusiasmus dabei.” Ohne diesen würde es in der Leichtathletik kaum noch gehen. Eine finanzielle Förderung der Nachwuchs-Kaderathleten findet nicht mehr statt. Höchstens über die Deutsche Sporthilfe können sich die Top-Athleten durch Finalplatzierungen bei Olympischen Spielen eine Förderung sichern. Darüber hinaus bekommen Weltmeister wie Hammerwerferin Betty Heidler eine Prämie und Weltklasse-Sportler wie der Sprint-Weltrekordler Usain Bolt können auf den Meetings einen guten Dollar verdienen. 95 Prozent der Leichtathleten sind in Deutschland mit 19 Jahren, wenn der Schritt in die Berufswelt ansteht, nicht soweit. Das weiß U 20-Disziplintrainer Edgar Eisenkolb vom Deutschen Leichtathletik Verband. „Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Doch Leistung wird erst honoriert, wenn sie erbracht wurde. Dass viele Talente wegbrechen, weil sie sich keine Freisemester leisten können oder nicht bei der Bundeswehr unterkommen – das ist ein Problem.” Einer, der trotz eines Deutschen Meistertitels mit den Langstecklern des TV Wattenscheid, die Reißleine gezogen hat, ist Tobias Schultz. Einige Monate hat er es vor seinem Comeback nach einer Verletzung probiert, die für seinen Anspruch notwendigen acht bis neun Einheiten mit Studium, Job und Familie zu organisieren. „Mit dem Ergebnis, dass ich oft nur vier Stunden geschlafen habe. Irgendwann hat mein Körper Stopp gesagt.” Wenn er mit seinem Sport Geld verdienen könnte, wie ein Westfalenliga-Fußballer, wäre alles gut. Doch so ist er für die Leichtathletik verloren wie Caroline Borghoff (Marl) oder Karina Sauer (Dorsten), die 2001 direkt nach der Schule Schluss machten. Dementsprechend frustriert ist Eisenkolb. „Wir können die Leichtathletik nur mit neuen Heike Drechslers oder Lars Riedels interessant machen. Da immer mehr Talente früh aufhören, werden die Chancen kleiner, wieder solche Leute zu bekommen.”